Wohl kaum ein anderes vom Menschen erdachtes Gerät oder Hilfsmittel besitzt gleichermaßen eine so hohe Symbolik wie auch einen hohen praktischen Wert. Die Rede ist vom Wanderstock. Er ist nicht zu ersetzen, auch wenn er in der realen täglichen Anwendung durch eine immer ausgereiftere verkehrstechnische Infrastruktur heute weniger gefragt ist. Wie lange er die Menschheit schon begleitet? Das wird ohne die Möglichkeit der Zeitreise wohl immer als Geheimnis im Dunkel der Vergangenheit versunken bleiben. Es werden jedoch nicht nur zehntausende, sondern hunderttausende Jahre vergangen sein, seit einer unserer Vorfahren zum ersten Mal einen Wanderstock ergriffen hat und sich mit dessen Hilfe leichter über Stock und Stein bewegte.
Der Wanderstock ist der beste Beweis, dass die genialsten Erfindungen durch Einfachheit glänzen. Doch der Mensch wäre nicht Mensch, wenn er einem so häufig genutzten Gegenstand nicht eine besondere Symbolik zuordnen würde. So entstanden aus dem Wanderstock viele mentale Bilder und letztlich mehrere unterschiedliche Gegenstände, deren ursprünglichen Aufgaben in ihrer neuen Rolle manchmal gänzlich verloren gingen.
Die unglaubliche Macht des Wanderstocks
Sicherlich haben viele Menschen mit Einschränkungen beim Gehen im Laufe der Geschichte an einem Wanderstock oder einem Gehstock immer wieder Halt gefunden und waren froh darüber, nicht zu straucheln oder zu stürzen. Es liegt nahe, dass entsprechend mächtige Menschen, die diese Erfahrung machten, ihre Macht auf den Wanderstock übertragen haben. So entstand vermutlich das Zepter, das neben der Krone die häufigste europäische Insigne der herrschaftlichen Macht von Kaisern, Päpsten, Königen und Fürsten war. Der Hirtenstab in der katholischen Kirche geht übrigens nicht auf Petrus zurück, sondern auf den Krummstab der ägyptischen Pharaonen, von denen die christlichen religiösen Herrscher ihn als Herrschaftszeichen der Bischöfe übernahmen. Der Krummstab wiederum weiß jedoch einige Parallelen zum Zepter auf.
Auch in der Gerichtsbarkeit Europas wurde der Wanderstock umfunktioniert und mutierte zum Gerichtsstab. Noch bis in das 20. Jahrhundert diente er dazu, über einer Person „den Stab zu brechen“. Im Januar des Jahres 1922 wurde hierzulande zum letzten Mal über Eisenbahnarbeiter Leonhard Siefert für den Mord am Herforder Bürgermeister Wilhelm Busse tatsächlich ein Gerichtsstab zerbrochen und der Täter damit zum Tode verurteilt.
Der Äskulapstab – ein Wanderstock als Symbol der Medizin
Während bei Zepter und Gerichtsstab die wahren Ursprünge als Wanderstöcke meist geleugnet wurden und werden, ist die Herkunft des Äskulapstabes, des Symbols der Medizin, klar belegt. Er war der Sage nach der Wanderstock des Asklepios oder Äskulap, des griechischen Gottes der Heilkunde. Während seiner Wanderungen schlängelte sich eine Natter um den Stab. Daraus wurde im Laufe der Zeit das Symbol, das sich heute häufig im medizinischen Bereich findet. In den USA winden sich gleich zwei Schlangen um den Stab, was jedoch nicht bedeuten soll, dass deren Medizin doppelt so gut ist. Vielmehr war es die Verwechselung eines medizinischen Verlages im 19. Jahrhundert, der statt des Äskulapstabes den Hermesstab des griechischen Götterboten in einer seiner Ausgaben als medizinisches Symbol darstellte.
Auch ohne jede Symbolik ist der Wanderstock noch heute eines der wichtigsten Zubehöre für eine gerade in Deutschland stark ausgeprägte Leidenschaft, das Wandern. Deutschland besitzt ein Wanderwegenetz mit einer schier unglaublichen Länge von rund 300.000 Kilometern. Fast 40 Millionen Deutsche aller Altersgruppen gehen hin und wieder oder regelmäßig wandern.