Ob wir wollen oder nicht, unser menschliches Empfinden ist darauf ausgelegt, beständig Beurteilungen vorzunehmen. Die meisten Menschen werden diese Werte, die sie einer anderen Person zumessen, in der Regel für sich behalten. Das hat weniger mit Kultur zu tun, sondern mit Vorsicht, manchmal aber auch mit Respekt. Die Anzahl der Werte hat sich im Laufe der zivilisatorischen Entwicklung permanent gesteigert. Ebenso deren Abstufungen und deren Bedeutungen innerhalb eines bestimmten Kontexts. So sind etwa Namen, angebracht auf Türschilder am Büro, nicht einfach Information darüber, das hier Frau XYZ tätig ist. Für Eingeweihte sagen die Namen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Büro oft weit mehr aus.
Jedoch basieren nicht wenige unserer Beurteilungen auf Vorurteilen. Ein Erbe der Evolution, denn in grauer Vorzeit war es durchaus angebracht, zuerst einmal skeptisch zu sein. Zugegeben, das ist auch heute leider angebracht. Wahrscheinlich gab es nie eine Epoche in der Menschheitsgeschichte, in der das sogenannte „gesunde“ Misstrauen gegen vorbehaltloses Vertrauen getauscht wurde.
Ist dieses gesunde Misstrauen denn wirklich so gesund?
Tatsächlich wollen die meisten Menschen auf dieser Erde eigentlich vorbehaltlos vertrauen und nicht erst die innere Werte-Tabelle konsultieren, um die Schublade zu finden, in die ein fremdes Gesicht gesteckt wird. Doch werden wir von klein auf mehr oder weniger stark zu Vorverurteilungen erzogen.
Im Verhältnis zur gesamten Bevölkerungszahl ist die Menge an Menschen, deren Vertrauen durch Fremde tatsächlich bei der ersten Begegnung missbraucht wurde, verschwindend gering. Das kann jede oder jeder sehr einfach selbst prüfen. Wenn beispielsweise in einer Gruppe ein negatives Bild über Menschen eines anderen Kulturkreises erläutert wird, kann die Frage gestellt werden, wer aus der Gruppe denn nun wirklich selbst dieses negative Bild erlebte. Sehr oft zeigt sich, dass alle nur eine Meinung vertreten, die nicht wirklich die ihre ist, sondern woanders gehört, gesehen oder gelesen wurde.
Es ist natürlich bequemer und auch homogener, eine bestehende Meinung einfach zu übernehmen, statt diese kritisch zu hinterfragen. Auf der anderen Seite sind wir gerne bereit, zu vertrauen, wenn uns das Bild einer Person als ehrenvoll dargestellt wird. Wie gesagt, nur dargestellt, nicht aber bestätigt durch selbst erlebtes Handeln dieser Person.
Namen und Titel machen Leute, früher wie heute
Dazu passt nur zu gut, dass wir uns unbewusst von Titeln beeindrucken lassen. Bei Titeln, die eine Leistung beweisen, etwa der Handwerksmeister oder der Doktor der Medizin, ist dies noch begründet. Doch weit mehr beeindrucken Adelstitel, die in den meisten Fällen auf Erbschaft und nicht auf Leistung beruhen. Zumal es nicht selten ein durchaus blutiges Erbe ist, beruhend auf der Ausbeutung von Menschen sowie Raub, Mord und Totschlag.
Trotzdem machen Menschen mit Adelstiteln glänzende Geschäfte. Sicher mit ein Grund dafür besteht darin, dass wir glauben, das uns diese Person hilft und nicht wir ihr helfen sollen. Genau umgekehrt erkennen wir zum Beispiel ärmlich gekleidete Menschen ohne Titel und vielleicht noch einem ausländisch klingenden Namen als wenig vertrauenswürdig an, zumal wir hier im Glauben leben, das diese Person Hilfe erwartet. Dem lässt sich nur entgegenwirken, indem alle inneren Vorurteile über Bord geschmissen werden. Ein Vorgang, der fast immer belohnt wird, auf die eine oder andere Weise.